Der neue Koalitionsvertrag „Verantwortung für Deutschland“ zwischen Union und SPD hat – wie kaum anders zu erwarten – kontroverse Reaktionen ausgelöst. Doch bei aller Diskussion dürfen wir nicht vergessen: Ein Koalitionsvertrag ist kein Wahlprogramm. Er ist auch nicht das vollständige Abbild einer einzelnen Parteiposition. Er ist ein demokratischer Kompromiss – das Ergebnis von Verhandlungen zwischen Parteien mit unterschiedlichen Werten und politischen Zielen, die dennoch bereit sind, Verantwortung für das Land zu übernehmen.
In einer parlamentarischen Demokratie ist das Prinzip des Kompromisses zentral. Keine Partei kann in einer Koalition all ihre Vorhaben eins zu eins durchsetzen. Kompromisse zu schließen bedeutet aber nicht, seine Grundüberzeugungen aufzugeben – es bedeutet, sie in einem gemeinsamen Rahmen wirksam umzusetzen. Der Koalitionsvertrag enthält sowohl Übereinstimmungen als auch Zugeständnisse – auf beiden Seiten. In der Koalition wird es dann darum gehen, wie der Vertrag zu politischer Realität wird.
Trotz aller Differenzen konnten wir als SPD zentrale Themen im Bereich sozialer Gerechtigkeit platzieren. Ein besonders starkes Signal ist die angekündigte Stärkung der Tarifbindung und die Umsetzung der EU-Mindestlohnrichtlinie. Auch wir in Deutschland stehen in der Pflicht: Seit 2022 gilt die europäische Richtlinie über angemessene Mindestlöhne in der Europäischen Union. Als Referenzwert für gesetzliche Mindestlöhne solle der international übliche Wert von 60% des Medianlohns von Vollzeitbeschäftigten gelten. In Deutschland würde das bereits heute einem Mindestlohn von etwa 15 Euro entsprechen. Die Erhöhung des Mindestlohns wird also kommen – auch wenn die genaue Höhe von der unabhängige Mindestlohnkommission festgelegt werden soll. Das ist eine gute Nachricht für Millionen Beschäftigte.
Ein zentrales Thema, das uns alle betrifft – heute und in Zukunft – ist der Klimaschutz. Wir bekennen uns klar zum Ziel der Klimaneutralität bis 2045. Das ist nicht nur eine technische Herausforderung, sondern eine Frage der Gerechtigkeit gegenüber zukünftigen Generationen. Klimaschutz darf dabei nicht gegen soziale Ausgewogenheit ausgespielt werden. Deshalb setzen wir uns für einen sozialverträglichen Wandel ein – mit klaren Leitplanken: Der Kohleausstieg soll bis spätestens 2038 vollzogen werden. Die Atomkraft spielt in unserer Energiezukunft keine Rolle. Um auch im Verkehrssektor CO₂ wirksam zu reduzieren, soll die Elektromobilität steuerlich stärker gefördert werden. Viele Menschen schrecken aktuell noch vor den hohen Anschaffungskosten eines E-Autos zurück – dabei sind die Kosten gerechnet auf die Lebenszeit heute schon günstiger. Dennoch braucht es gezielte Anreize, um diesen Wandel für alle bezahlbar und attraktiv zu machen. Der Koalitionsvertrag bekennt sich auch zur sicherheitspolitischen Verantwortung Deutschlands in Europa. Angesichts des völkerrechtswidrigen Überfalls auf die Ukraine ist ein besonnenes, aber entschlossenes Handeln notwendig. Die Einrichtung des Sondervermögens und die Änderung der Schuldenbremse für die Bundeswehr bleiben richtig, denn sie stärken unsere Fähigkeit zur Landes- und Bündnisverteidigung. Wir setzen dabei auf eine enge europäische Zusammenarbeit – nicht in Aufrüstungseuphorie, sondern aus dem Bewusstsein heraus, dass Frieden und Freiheit in Europa keine Selbstverständlichkeit mehr sind. Unser Ziel bleibt eine starke, handlungsfähige EU, die sich gegen Aggressionen behaupten und zugleich für Diplomatie und internationale Ordnung eintreten kann.
Die Vorsitzenden der SPD Unterschleißheim stehen daher hinter dem Grundgedanken dieses Koalitionsvertrags: Verantwortung zu übernehmen – nicht um jeden Preis, sondern mit klaren Maßstäben. Wir wissen, dass die Menschen zu Recht erwarten, dass Politik Ergebnisse liefert. Aber ebenso wichtig ist, dass diese Ergebnisse auf einem Fundament aus Gerechtigkeit, Rechtsstaatlichkeit und sozialer Verantwortung stehen. Noch bis zum 29. April können die SPD-Mitglieder über den Koalitionsvertrag abstimmen. Sollte es zur Koalition kommen, werden wir daher besonders wachsam sein, dass die Umsetzung des Koalitionsvertrags in Einklang mit europäischem Recht und den Menschenrechten erfolgt.
Unsere Aufgabe als Sozialdemokraten bleibt es, kritisch zu begleiten, was vereinbart wurde – und darüber im Gespräch zu bleiben: mit Ihnen, den Bürgerinnen und Bürgern, vor Ort. Denn am Ende ist Demokratie kein Vertrag, sondern ein Miteinander, das jeden Tag neu gelebt werden muss.
Andreas Graw
(Co-Vorsitzender der SPD Unterschleißheim)